Mittwoch, 19. August 2015

Joy of pain

"Was ist? Angespannt?"
"Ja Lady."
Ich stehe auf, laufe durch den Raum. Lange kann es nicht mehr dauern.
Gerade wird der Kundin vor mir erklärt wie sie ihr Bildchen pflegt.

Meine Vorfreude ist gewichen. Geblieben ist die Freude dass es gleich so weit ist. Aber neu ist die Spannung, die mir zu Verbergen kaum gelingt.
Ich bin ruhig, sage nichts. Blicke ernst, anders als sonst. Kein Phone in der Hand, kein Schreiben, kein Unterhalten.

Rose kennt mich lange genug um zu wissen, das bin nicht ich.

"So Paul, dann wollen wir mal."
Gestern Abend hat mir die Stylistin den Entwurf geschickt.
Der entsprach so ziemlich dem was ich / wir uns vorgestellt hatten, bis...

Das Herz.
"Schau. Sogar das."
Ich hatte nichts davon gesagt.
Ich hatte gedacht, dass es überladen wird.
Ich war mir sicher ein Herz ist zu viel.
... und ist zu kitschig.
... und passt nicht dazu.
Aber jetzt im Entwurf erkenne ich es.
Sehe die Rose, sehe mich.
Doch auch das herRZ.
Ja. Ich bin zu frieden.

Es wird verkleinert und angepasst. An die entsprechende Stelle gehalten. Geschoben, gedreht, und wieder verkleinert.
"Ja so. Genau" gefällt Rose die Rose.

Es dauert noch gut Zehn Minuten in denen sie das Bild aufbringt und ihr Arbeitszeug richtet.
Kabel verpacken und Maschine anschließen, Griffstück und Nadel aus der sterilen Folie entnehmen und alles ineinanderzusetzen. Farben vorbereiten und mich positionieren bis zum ersten Mal die Maschine brummt.

Die Anspannung ist weg.
Genau jetzt ist der letzte Punkt aufzuhören.
Wenn der erste Stich kommt ist der überschritten. Kein Weg mehr zurück.
Ich atme ruhig, atme bewusst, spüre meinen Körper die Lunge füllen. Mein Brustkorb geht hoch, senkt sich ab.
Ich warte auf den kommenden Schmerz.

Die Ladies flaxen.
"Das ist die Revenge für die Schmerzen, die wir Frauen für euch Männer erleiden.
Wenn es nicht mehr geht, nimm meine Hand" meint Rose.
"Da pass lieber auf" meint die Stylistin, "das machen die Kerle.
Und drücken dann noch fest zu."
"Er hat was gut" erwidert Rose, "ich habe ihn damals gebissen."
Klasse... Nicht genug, dass ich nicht weiß was auf mich zukommt. Schon jetzt wird über mich gefrotzelt.
"So. Jetzt geht es los. Bis du bereit?"
"Ich warte auf die Schmerzen."
"Du, ich kann dir nicht sagen wie weh es dort tut. Ich habe dort keines und habe noch keinen Mann dort tätowiert."
Aber wir sind uns einig. Die Stelle ist sensibel. Viele Nerven verlaufen unter dünner Haut, beste Voraussetzungen für AUA-Schmerz.

Ich spüre ihre Hand, die sich auf meine Leiste legt, spüre die Finger meine Haut dort spannen, fühle die zweite Hand mit der Maschine auf meinen rechten Schenkel stützen.
Jetzt geht es los. Der erste Stich. Das erste Eintauchen einer Nadel, das allererste Stechen.

Wieder atme ich entspannt, warte was kommt
Uah! Schmerz!
Ein kurzer Strich. Oder ein Bogen. Dauert höchsten eine halbe Sekunde.
Was
Für
Ein
Schmerz

Die Nadel ist weg.
Der Schmerz vorbei.
"Und, wir ist es?"
Keine der Ladies hatte bemerkt wie heftig die Stiche in mich waren, wie mein Körper reagierte bei dem was im jetzt widerfährt.
"Schlimmer als ich es mir vorgestellt habe."
"Schlimmer? Oh, sonst heißt es immer nicht so schlimm."
"Es ist heftig. Aber es geht."
"Sicher?"
"Ja. Das halte ich aus."

... sagt sub und überlegt mit was der Schmerz vergleichbar ist.
Ruth? 'RZ, hör auf zu denken!'
Zwar taucht die Nadel wieder ein und schmerzt es wieder weiter.
Doch bemerke ich beim Gedanken an Ruth rz-chen's Erinnerung daran.
Nur durch ein Schürzchen verdeckt liegt ER knapp vor ihr. Es soll nicht sein, dass ER sich jetzt regt.
Langsam atme ich durch.

Ein Stich, viele Stiche, ein Bogen - Ende.
Der Einstich. Viele Stiche. Dreizig je Sekunde.
Sie zeichnet vier, fünf und einen sechsten Bogen, setzt dann wieder ab.
"WOW!" stöhne ich aus.
Die Stylistin schaut mich an.
"Das geht unter die Haut" kommentiere ich den Schmerz, "aber den Gag wirst du öfters hören."
Sie lacht, "nö du, gar nicht so oft."
Es ist ein komischer Schmerz. Es ist wie ein Schnitt durch die Haut. Ich spüre den Bogen, die Linie, die Bahn die die Nadel nimmt, ich spüre das Schneiden in die Haut.
Aber ich spüre keinen Schmerz danach. Dort ist kein Riss, der verbleibt, durch den neuer Schmerz nach innen dringt. Der Schmerz ist kurz und begrenzt, bleibt unter der Haut. Kurz wischt die Lady darüber hinweg. Da ist nichts mehr. Kein Ziehen, kein Reißen. Ausser dem kurz aufblitzenden Schmerz, der wie gekommen so gegangen unter meiner Haut verstummt.

'Wieviel hat sie? Vier Blätter? Ein Viertel? Schon die Hälfte?'
Mein Fuß zuckt. Nerv erregt! Ich kann nichts dagegen tun.
Rose macht einen Witz. Die Stylistin hält still, ich lache jedoch, mein Zwerchfell spannt sich an.
Damit mein Bauch. Damit die Haut hinab zu dem Schenkel. Das Motiv beginnt zu beben.
"Ich darf nicht lachen."
Alarmsignal? die Stylistin hört auf zu stechen...
"Was ist..."schaut sie zu mir.
"Ich darf nicht lachen weil es sonst wackelt."
"Besser nicht" arbeitet sie weiter.
Wer will schon haben, dass Rosen sich vor Lachen bogen.

Ich liege da, beherrsche den Schmerz.
Ein neuer Bogen, ein langer Zug. Gut zwei Sekunden tackern die Nadeln hinein, tragen schwarze Farbe durch meine Haut. Es zieht. Ein stechender Schmerz.
Wie lange noch, wie weit ist sie? Für mich fühlt es sich an als ob sie erst Ein-Eurostück Groß gearbeitet hat.
Sie setzt an, zieht die Nadeln über die Haut, sticht zu -Schmerz- zieht weiter -Schmerzensteigernd- vier, fünf, gut sechs Sekunden, lässt die Nadeln fast zweihundert Mal meine Haut durchbohren -das Knie zuckt kurz, zwei Zehen wackeln- drückt stärker zu -SchmerzesSchmerzen- und setzt dann ab.

"So. Jetzt kommen lange Linien."
"Ah ja..." und 'aaaaaahh! Bloß nicht!'
Wenn das die kurzen Blüten waren wie werden erst die langen Ranken.

Lang.
Aber nicht mehr so schmerzhaft.
Und das Zeichnen der Konturen bewegten deutlich mehr bei mir.
Die Nadel taucht ein. Drei Sekunden gleitet sie nach unten, drängt schwarze Farbe unter meine Haut.
"Und?"
"Anders. Einfacher" grinse ich und schon zuckt mein Zeh als die Nadel ihre Bahn an meiner Leiste zieht. Hundert Stiche, fast gerade nach unten in Richtung der Zehen. Ich spüre den Schnitt, spüre die Nerven, fühle den scharfen Schmerz. Die Spur führt parallel zu einem Nerv, folgt seinem Verlauf, scheint direkt in ihn zu stechen.
Unkontrolliert zuckt mein Fuß.

"Es ist schon komisch wenn man nichts dagegen unternehmen kann" sagt die Lady und pikst mich weiter.
"Oh ja" schaue ich zu meiner Lady.
"Man versucht es zu kontrollieren und doch bewegt sich der Fuß wie er will."
Das kenne ich nur zu gut. Rose hat die Macht IHN zu kontrollieren. Auch da habe ich keine Chance dagegen anzukommen.
'Falsche Gedanken' bemerke ich durch IHN und der Schmerz holt mich zurück.

Wieder ein Schnitt. Vier Zentimeter lang. Ich kann spüren wie die Nadeln meine Haut zerteilen, wie der Schmerz darunter entsteht. Doch kaum ist die Nadel vorbei kommt Nichts nach. Kein Ziehen, kein Brennen. Die Lady wischt darüber - das war's.
Dort ist kein Riss, kein Schnitt. Keine klaffende Wunde. Das Einzige ist der Nerv der zuckt und meine Zehen bewegt.
Die nächste Linie. Der Druck nimmt zu. Der Schmerz schwillt an. Endlos rattert die Nadel hinein.
'Sie drückt viel stärker als sonst. So wie vorhin die letzten Bögen. Ich denke gleich ist sie...'
"So. Nadelwechsel. Jetzt kommen die dünnen, feinen Linien."
Zur Verdeutlichung hält sie mir die Skizze vor. Mit dem Rest bin ich schon fertig. Bald hast du es überstanden."
Kleine Nadel? Heißt das weniger Schmerzen?
'Nicht wirklich' spüre ich.
Die Stiche sind feiner, kleiner - schärfer. Doch nicht so tief. Zumindest fühlt es sich so an. Weil weniger Druck? Dringt die Nadel leichter durch die Haut, drängen nicht so viel Gewebe zur Seite?
Die Schmerzen sind die Gleichen.
Ich halte sie aus.
Und wieder zuckt mein Zeh als die Linien einer Nervenbahn folgen.

'Ah gut.'
Wieder steigt der Druck. Wieder drückt die Stylistin fester auf. Wieder steigt der Schmerz durch die Nadel an.
'Gleich ist sie fertig. Ob sie davon weiß' überlege ich kurz und schon ist Schluss.

"So. Pause für dich. Kannst dich erholen."
Dabei nimmst sie eine Lösung, tränkt ein Tuch und streicht es über die geschundene Haut.
"Gut, oder? Das kühlt."
"Hmmm. Joo."
"Nicht" fragt sie verwundert.
"Naja, das ist schon angenehm. Aber kühlen...? So schlimm war es nicht."

So schlimm war es nicht. Da wo die Nadel sticht ist der Schmerz. Ist sie weg, so auch der Schmerz. Ein leichtes Jucken, etwas Kratzen, da können ein Chili, da kann selbst Ingwer etwas mehr.
Ich hebe den Kopf, hebe die Brust, schaue hinab auf meine Lende.
Was ich sehe gefällt mir schon.
"Kannst ruhig aufstehen und dich bewegen."
Gespannt stehe ich auf. Drei Meter entfernt steht der Spiegel, direkt neben mir sitzt Rose.

Ihr Motiv. Für sie.
Ich drehe mich zu ihr.
Ein kurzer Blick nach unten, dann ein Blick zu mir hoch. Glücklich strahle ich sie an, strahlend lächelt sie zurück.
"Schön."

Ich habe es noch immer nicht richtig gesehen, da holt Rose ihr Phone hervor.
Sie erfasst das Motiv, die Kamera fokussiert, ein Klick, kurzes Waren und dann versenden.
Schon ertönt ihre WA-Melodie bei mir.
"Danke" küsse ich sie und gehe zum Spiegel.
"Schön. Nein Super" blicke ich erleichtert hinein.

Bis auf...
Das Motiv ist genau so flach aufgetragen wie im Entwurf.
Es fehlt an Textur. Keine Tiefe. Farben? Schatten? The shades of grey?
Die Blüte fehlt.... ich bin gespannt.


Vom Rosenzüchtling




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen